Michael von Brentano, Seeshaupt

Vita
1960 geboren in Augsburg
1980 – 1983 Ausbildung zum Schreiner
1984 – 1990 Studium der Bildhauerei bei Prof. Hans Ladner, Akademie der Bildenden Künste, München
1988 Meisterschüler
1990 Diplom und Debütantenpreis des Kultusministeriums Bayern
1997 – 2018 Fachlehrer für Bildhauerei
Berufsfachschule für Holzbildhauer, Garmisch – Partenkirchen
Einzel- und Gruppenausstellungen
2021 „Holy place, no kiss no touch“, Verpackerei Gö, Görisried
2020 „Alles im Grünen Bereich“´Kulturort Weiertal, Winterthur, Schweiz
2019 „teatrum mundi – eine Intervention“, Stadtmuseum Weilheim/ Obb.
„Auf Herz und Nieren“, Museum Villa Rot, Burgrieden
2018 „teatrum mundi“ Kunsthalle Wil / Schweiz
2016 „Der zweite Blick“, Die Sammlung Broska, Kunsthaus Wiesbaden
2014 „Zwischenwelt“, Ausstellungsreihe nah-fern, Schalterhalle Historischer Bahnhof Starnberg
„teatrum mundi“ Galleria Graziosa Giger, Leuk Stadt, Schweiz
2013 „teatrum mundi“, Augustinermuseum Rattenberg/ Tirol
2012 „Kunst – und Wunderkammer Revisited“, Große Rathausgalerie Landshut
2011 „The Nightingale and the Rose-Oriental Dreams“, Rathausgalerie München
Projekte / Kunst im öffentlichen Raum / Kunst am Bau
2016 „Wasserträger“, Brunnen auf dem Stadtplatz, Penzberg/ Obb.
2015 „Aus Wald und Feld“, Grünanlage München-Trudering
2014 „AVE MARIA“, Skulptur für den Skulpturenweg Leuk, Leuk Stadt, Schweiz
2013 „Die Donauquelle ist umgezogen“, Museum Biedermann, Donaueschingen
2012 „Kristallwand“, Kinderhaus Am Kiefernwald, München
2011 „Topographie: Werdenfelser Land“, Neubau Finanzamt Garmisch-Partenkirchen
„Die Verweildauer von Augenblicken sollte nicht eingeschränkt werden“, Wiesbaden
Website www.michaelvonbrentano.com
Instagram @mvbrentano
Arbeit 26 a Wagnis und Gewinn
Material Holz, Spanplatten, Beschläge, diverse Leuchten, Glasplatten
Jahr 2021
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Arbeit 26 b x Gemeinsames?
Material Ulmenholz, Polyurethanbeschichtung, Farbige Lasur, Schwerlastregal aus der ehemaligen Verkaufshalle
Jahr 2021

Wagnis und Gewinn

Ein gewaltiges, begehbares Einbaumöbel in der ehemaligen Verkaufshalle. Solide gebaut aus Massivholz und furnierten Spanplatten, mit Glasabtrennungen und detaillierter Beleuchtung. Solange die Gärtnerei bestand, waren hier die Kasse und das Büro untergebracht. Die Kunden bezahlten dort Pflanzen, Erde, Dünger. Auf der Schauseite zum Verkaufsraum standen in Regalen Gartenaccessoires. Eine abschließbare Vitrine enthielt Pflanzenschutzmittel. In den Schränken der Rückseite wurden Akten, Pflanzenkataloge und Abrechnungen gelagert. An Bürotischen erstellte der Gärtnermeister Pflanzpläne oder organisierte die Pflege von Gärten.

Michael von Brentano hat das Möbel umgebaut. Er schnitt Löcher in die Fassade, baute Regalbretter zu Vertäfelungen um, versetzte Glasflächen, Schubladen und Schranktüren zu teils absurden Kombinationen. Lampen, die einst Arbeitsplätze beleuchteten, hat er in Hohlräume und an Außenseiten montiert. Amorph ausgesägte Elemente präsentiert er, wie in einer Schauvitrine, in halb offenen, den Raum zerlegenden Ansichten. Lampen leuchten aus inhaltslosen Kabinetten. Das statische Innenleben des Möbels ist freigelegt, so dass die Konstruktion sichtbar wird. Durchbrüche geben den Blick in den dahinter liegenden Raum und an einigen Stellen hindurch sogar bis in den Außenraum frei. Er hat das Möbel handwerklich dekonstruiert – ganz traditionell mit Holzbearbeitungswerkzeugen. Er hat es aus seiner ursprünglichen Bestimmung in eine zweckfreie Skulptur überführt. Dennoch ist sie begehbar geblieben und in Teilen sogar noch nutzbar.

„Wagnis und Gewinn“ sind Begriffe aus Angebotskalkulationen des Baugewerbes.

Unter „Wagnis“ versteht man das allgemeine Unternehmerwagnis und das besondere Einzelrisiko, das auf ein bestimmtes Bauvorhaben beschränkt ist, unter „Gewinn“ das angemessene Entgelt für die unternehmerische Leistung.

Auf das Herstellen einer Skulptur bezogen bedeutet das für den Künstler: Jeder Schritt, für den er sich entscheidet, z.B. das Herausschneiden einer Form, das Montieren einer Platte usw., ist nicht rückgängig zu machen. Jede Entscheidung bedingt alle nachfolgenden und das endgültige Bild. Der Künstler wagt einen Schritt, den er mit all seiner gestalterischen Erfahrung vollzieht und ist dennoch nicht davor gefeit, einen Fehler zu machen. Letztlich erntet er einen Gewinn, den er beim Beginn der Arbeit nicht bedingungslos garantiert bekommt.

Im übertragenen Sinn kann das auch für ein Bauvorhaben gelten, dessen Gewinn für die Allgemeinheit größer sein kann, als es die Vorstellungskraft eines politischen Entscheidungsgremiums zulässt.

Gemeinsames?

Eine Ulme mit starken Drehwuchs. Die Ursache dafür, dass ein Baum diese Anomalie entwickelt, liegt in einem genetischen Fehler. Die neuen Zellen lagern sich nicht neben der alten Zelle an, aus der sie entstanden, sondern leicht versetzt. Dadurch wächst der Baum in spiraliger Form. Michael von Brentano hat den Stamm exakt entlang der gewachsenen Fasern in zwei Teile zersägt und anschließend ausgehöhlt. Außen sind sie farbig lasiert, so dass eine an tierische oder menschliche Haut oder gar Fleisch assoziierende Anmutung entstand. Innen sind sie mit einer industriellen Polyurethanbeschichtung versehen, wie sie normalerweise zur Konservierung von Metall benutzt wird. Beide liegen im Schwerlastregal, das ursprünglich in der ehemaligen Verkaufshalle stand.  Einander zugewandt offenbaren sie ihr konserviertes schwarzes Inneres.

Was haben sie gemeinsam? Aus einem zusammengehörigen Organismus sind zwei neu Teile entstanden, das ursprünglich Gemeinsame tritt in den Hintergrund. Die vertikal gewachsene Struktur lagert nun horizontal in zwei separaten Lagergestellen. Die Anmutung an Lebendiges, an einen fremdartigen Organismus oder ein gehäutetes riesiges Tier wird mit der konservierten Innenseite in das Künstliche gekehrt. Worin liegt die Gemeinsamkeit mit menschlichem Leben?