Nadine Baldow
Geographies of Love II
2021/ Polyurethan, Hasendraht, Dachlatten, Unkrautfilz
Im Gewächshaus auf dem Gelände der ehemaligen Gärtnerei „Demmel“ treffen organische Wuchsformen aus dem industriell hergestelltem Material, Polyurethanschaum (Material künstlichen Ursprungs), auf Äste (Material natürlichen Ursprungs), Fetzen von Gartenfilz, ein Gerüst aus Dachlatten und die Gitterstruktur von Hasendraht. Ähnlich eines fremdartigen Organismus scheint die orangefarbene Schaummasse diese Strukturen zu besetzen und auf deren Substanz weiter zu wuchern. Im Laufe der Zeit wird sich die Materialität von GEOGRAPHIES OF LOVE II visuell sehr stark verändern, da Nadine Baldow diese Arbeit bewusst nicht vor der absehbaren Alterung durch UV-Einstrahlung schützt. Klimatisch ist das Gewächshaus als ein von der Umwelt abgetrenntes System zu bewerten – ein Ort der Künstlichkeit, mit dem Ziel das Wachstum ausgewählter Pflanzen zu unterstützen.
Das Bild pilzartiger Strukturen, die in und über natürliche und menschengemachten Strukturen wuchern eröffnen ein dystopisches Gedankenexperiment über die zukünftige, durch den Klimawandel veränderte, Natur auf diesem Planeten. Pilze sind seit über 400 Millionen Jahren Teil der Erde und sie stellen gute Indikatoren für kleine und große Veränderungen des Ökosystems dar. Manche verfügen über außergewöhnliche Fähigkeiten große Katastrophen zu überleben – wie der Pestalotiopsis Mircospora, welcher in der Lage ist selbst in sauerstofffreier Umgebung bestimmte Polyurethane abzubauen und zu verdauen. Das erste Lebewesen, dass sich nach der nuklearen Katastrophe in Hiroshima durchsetzte, war ebenfalls ein Pilz. Der Matsutake, welcher sich darauf spezialisiert hatte, auf den von der Industrialisierung langfristig verseuchten Böden zu wachsen. Diese Beispiele eröffnen Möglichkeiten vom Leben in einer vom Menschen und für den Menschen zerstörten Umwelt.
Baldow stellt in ihren Arbeiten Mensch und Natur oft als Konkurrenten dar – im Kampf um Lebensraum. Der Mensch muss unentwegt aktiv auf seine Umgebung einwirken, um den Zustand der „Zivilisation“ zu erhalten. Auch der Garten als Konzept bedeutet die Aneignung von Landschaft. Als zum ersten Mal eine Begrenzung um eine Landschaft errichtet wurde, wurde die Kluft zwischen dem Menschen und der Natur physisch erfahrbar. Wir leben in einer geophysikalischen Epoche, die als Anthropozän bezeichnet wird, in welcher der Mensch in der Lage ist im globalen Maßstab auf das Erscheinungsbild der Landschaft einzuwirken.
Diese Umgestaltung der Erde ist nun soweit fortgeschritten, dass die Grenzen zwischen Natur und Kultur zunehmend unscharf geworden sind. Das Gleiche gilt für die Grenzen von künstlich und natürlich: Ist eine Wiese künstlich? Sind Schafe als domestizierte Tiere natürlich? Ideonella Sakaiensis ist ein Bakterium, das sich auf Polyethylenterephthalat (kurz PET) spezialisiert hat. Das Bakterium zerstört die Struktur, wandelt die Bruchstücke in verdauliche Produkte um und ernährt sich davon. Wenn Mikroplastik praktisch überall aufzufinden ist; der Arktis, der Tiefsee, selbst in Lebewesen und sich bereits Organismen entwickelt haben, die sich davon ernähren – ist Plastik dann künstlich oder natürlich?
1990 | in Dresden geboren |
2018 -2021 | Meisterschülerin von Prof. Eberhard Bosslet |
2014 -2018 | Studium der Bildenden Künste bei Prof. Eberhard Bosslet, Hochschule für Bildende Künste Dresden |
2013 – 2014 | Studium der Bildenden Künste bei Prof. Carl Emanuel Wolff, Hochschule für Bildende Künste Dresden |
2010 – 2013 | Ausbildung zur Holzbildhauerin bei Michael von Brentano, Schulen für Holz und Gestaltung, Garmisch-Partenkirchen |
lebt und arbeitet in Berlin | |
Stipendien/ Preise/ Residencies | |
2020 | Stipendiatin des ArtsCouncil Ireland in Kooperation mit dem Leitrim Sculpture Centre, IRE |
2020 | Stipendiatin des Landes Nordrhein-Westphalen mit Arbeitsaufenthalt im Künstlerdorf Schöppingen, DE |
2019 | Stipendium, Stiftung Berliner Leben, Urban Nation, Museum for Urban Contemporary Arts, Berlin, DE |
2019 | Stipendiatin der META Foundation und Fondazzjoni Kreattivita, Gozo und Valletta, MLT |
2018 – 2019 | Atelierstipendium, „a room that…“, Halle 14 – Zentrum für zeitgenössische Kunst Leipzig, DE |
2018 | Projektstipendium, Hansung Universität in Kooperation mit 369ArtSpace, Seoul, KOR |
2017 | Projektstipendium der StoryOf-Foundation, Panaji Goa, IND |
2017 | Stipendium des Umweltbundesamts (UBA), Arbeitsaufenthalt auf der Naturschutzinsel Vilm, DE |
2017 | FSK-Polyurethaninnovationspreis, DE |
2016 | Stipendiatin der KYTA-Foundation, Arbeitsaufenthalt in den Himalayas, IND |
2015 | Stipendiatin des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, Biosphärenreservat Sumava, CZE |
Website | www.nadinebaldow.com |
@nadine_baldow |
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